Alle Jahre Anfang Dezember gingen die Todtmooser „Lebchuechewiiber“* mit Körben und Rückentragen voller Lebkuchen bei Wind und Wetter zu Fuß über die Berge in die umliegenden Täler und läuteten damit die Weihnachtszeit ein. Jedes Lebkuchenweiblein hatte seine eigene Kundschaft. So klopfte Jahr für Jahr eine sehnsüchtig erwartete, alte Bekannte an die Türen.
Der Duft, der dann in den Stuben zurückblieb, weckte in den Kindern die Vorfreude auf den Weihnachtsmorgen. Da fanden sie beim Aufwachen dieses herrlich von Honig und kostbaren Gewürzen beseelte, weithin bekannte Wallfahrtsgebäck auf ihrer Bettdecke liegend vor. In ärmlichen Gegenden des Schwarzwalds waren diese Lebkuchen oftmals das einzige Weihnachtsgeschenk. Süßes gab es das Jahr über kaum. Deshalb umgab der Besuch der alten, einfachen Frauen immer etwas Besonderes.
Text: Heidi Knoblich
Hintergrundwissen:
Die Autorin Heidi Knoblich hat das Thema um die Todtmooser Lebkuchenhändlerinnen wieder ins Bewusstsein gebracht:
Ihre Recherche für eine Radiosendung (SWR), eine Hommage an den in ihren Kindheitserinnerungen verwurzelten Todtmooser Lebkuchen, führten sie nach Todtnau. Hier stieß sie auf ein Kalenderblatt des 1917 in Todtnau geborenen Schriftstellers und Radiojournalisten Otto Heinrich Klingele, mit dem er an eine Todtmooser Lebkuchenhändlerin erinnerte.
Ich weiß nicht mehr, wie die Alte geheißen hat. Wenn ich zurückschaue in die Erinnerung, dann sehe ich nur noch, wie die Schneeflocken wirbeln, und das Lebkuchenwiilble kommt ins warme Haus. Der Schnee hängt an ihrem Kleiderzeug, und ich starre sie an mit großen Bubenaugen. Es bringt meiner Mutter seine Ware aus Todtmoos und trinkt hernach in der warmen Stube das Schüssele Kaffee. Und es schenkt uns Kindern noch einen Lebkuchen als Dreingabe, gebacken zu Todtmoos nach Geheimrezepten. Ich habe den süßen Geschmack nach Honig und anderen Herrlichkeiten wieder auf der Zunge – ein Geschmack, der sich mit Worten – und mögen sie auch noch so wohlgesetzt sein – nicht beschreiben lässt.
Dieses Lebkuchenweiblein in seinem „groben Rockzeug“, mit seiner rot gefrorenen Nase und seinem runzligen Gesicht unter dem Kopftuch war für Klingele eine der geheimnisvollsten Gestalten seines Lebens. Es kam einfach durch den Schneeflockenwirbel aus dem tiefen, dunklen Wald, „aus einer Tiefe, wo nicht einmal mehr Füchse und Hasen hinkommen konnten“. Und wie es gekommen war, verschwand es wieder in den tanzenden Schneeflocken in den Wald.
Von Klingeles Erinnerungen inspiriert, schrieb Heidi Knoblich ihr beliebtes Weihnachtskinderbuch „Alle warten auf das Lebkuchenweiblein“ und setzte damit den Todtmooser Lebkuchenhändlerinnen, die auch in ihrer Kindheit tiefe Eindrücke hinterließen, ein kleines Denkmal.
*Die Bezeichnung „Weib“ (in der alemannischen Sprache „Wiib“) wurde früher in einem anderen Sinn als heute benutzt. „Weib“ stand damals für eine umtriebige, tüchtige Frau bzw. eine Ehefrau (siehe Englisch: wife). Meist waren die Frauen seinerzeit kleiner als heute. In der verniedlichenden Art der alemannischen Sprache nannte man sie liebevoll „Wiibli“. (Text: Heidi Knoblich)
Von Heidi Knoblichs Weihnachtskinderbuch „Alle warten auf das Lebkuchenweiblein“ inspiriert, schuf der Holzbildhauer Thomas Rees aus Freiburg Kappel die Figuren „Das Lebkuchenweiblein“ und „Der Bäckermeister“. Im Jahr 2026 wird „Die Spur des Lebkuchenweibleins“ (Stelen mit Auszügen aus Heidi Knoblichs Buch) durch das Lebküchlerdorf Todtmoos führen und die beiden Skulpturen miteinander verbinden.
„Alle warten auf das Lebkuchenweiblein“ ist im Buchhandel, in den beiden Todtmooser Cafés Bockstaller und Zimmermann und signiert bei der Autorin erhältlich.